Amors Verwirrungen: Liebesfluchten


Sieben aufwühlende, hintergründige Geschichten über die Liebe in all ihren Formen. 
„Das Mädchen mit der Eidechse“ erzählt von einem jungen Mann, auf dem das Erbe eines verschollenen Gemäldes schwer lastet. 
„Der Seitensprung“ breitet vor uns das Panorama einer belasteten Ehe aus, indem sie mit einem guten Freund der Familie schläft, entlarvt die Frau das Lügenkonstrukt ihres Mannes. 
Ein alter Mann muss in „Der Andere“ entdecken, dass seine mittlerweile verstorbene Ehefrau eine Affäre hatte. Er macht sich auf, den Hochstapler kennen zu lernen, entdeckt dadurch aber auch ganz neue Seiten an seiner Frau. 
Von heillosen Verstrickungen in Affären, der Flucht vor dem den Protagonisten immer mehr einengenden und überfordernden Leben und schließlich einer unerwarteten Wendung lesen wir in „Zuckererbsen“. 
„Die Beschneidung“ handelt von einer schon zu Beginn zum Scheitern verurteilten jungen Liebe, nicht zuletzt von der zerstörerischen Kraft des Vorurteils. 
Die Liebe eines Vaters zu seinem Sohn, sein Bedauern, ihm nie ein besserer Vater gewesen zu sein, eine engere Bindung mit seinem Sohn aufgebaut zu haben, das thematisiert „Der Sohn“. 
Am Ende steht „Die Frau an der Tankstelle“: In dieser Geschichte erfahren wir von einem mutigen Aufbruch, einem Ausbruch aus einem bisher gewöhnlichem Leben, um der Verheißung von Liebe aus einem wiederkehrenden Traum zu folgen.

Erst durch dieses wunderschöne kleine, leinengebundene Büchlein mit Geschichten habe ich Bernhard Schlink für mich entdeckt. Mit dem „Vorleser“ konnte ich mich nie so wirklich anfreunden, da er thematisch zu den Romanstoffen zählt, welche ich persönlich ungeheuer ermüdend finde – die Deutsche Nachkriegsliteratur hat die Angewohnheit, sich, notorisch so scheint es mir, in der Schuldthematik zu suhlen. Damit bin ich nie so wirklich warm geworden, weshalb mir auch Schlinks „Der Vorleser“ suspekt blieb. Mit diesen grandiosen „Liebesfluchten“ aber, ebenso wie mit einem weiteren Band an Geschichten, den „Sommerlügen“, und zuletzt mit „Die Frau auf der Treppe“ hat mich Bernhard Schlink dann doch noch als Leserin gewonnen – noch mehr, als begeisterte Liebhaberin seiner Kunst. Den „Vorleser“ wird man trotzdem niemals in meinem Regal finden, tut mir Leid, Herr Schlink :)
Mit wohlgewählten Worten, einer ruhigen Art des Erzählens, verleiht Bernhard Schlink jedem seiner Protagonisten eine ganz individuelle, eigene Stimme, unter der jedoch stets ganz zurückhaltend und reduziert der Stil eines großen Autors hindurchscheint. 
Liebe als Thema ist nicht neu - die Formen und Verwirrungen, welche uns Bernhard Schlink in diesen Geschichten jedoch schildert, sind außergewöhnlich. 
Besonders beeindruckt hat mich „Die Beschneidung“, gerade weil diese Geschichte in der endlosen Schuldthematik der Deutschen einen neuen Blickwinkel wagt. Jede dieser Geschichten ist ein in sich abgeschlossener, formvollendeter kleiner Kosmos, den es zu entdecken, zu bestaunen und für sich als Leser zu erobern gilt. Diese Geschichten sind im Grunde schon fast kleine Romane, die auf engstem Raum große Kunst in sich vereinen. 
Es lohnt sich, der literarischen Form der (Kurz-)Geschichte, insbesondere wenn sie so meisterlich geschrieben sind wie Bernhard Schlinks „Liebesfluchten“, eine Chance zu geben – oftmals sind sie kunst- und inhaltsvoller als viele moderne Romane, denn es erfordert großes schriftstellerisches Talent, auf kleinstem Raum so wunderbare Welten zu erschaffen.

Liebesfluchten 
von Bernhard Schlink 
2014 Diogenes Verlag 
ISBN 978-3-257-26114-1
 
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