Irgendwo zwischen Himmel und Erde: Für den Herrscher aus Übersee



Zwei Jungen, zwei Brüder, verbringen den Sommer bei ihren Großeltern auf dem Land. Ihre Eltern sind auf Reisen, die täglichen Postkarten sind das einzige Lebenszeichen von ihnen. Der Großvater liest sie den Brüdern vor, doch es scheint so, als lese er nicht, was da geschrieben steht, sondern was ihm in den Sinn kommt. Er ist auch sonst ein großer Geschichtenerzähler. Am liebsten – und zum Verdruss der tüchtigen Großmutter – erzählt der Großvater von seiner Zeit als Flieger im Krieg, oder genauer: von seiner Begegnung mit der Japanerin. Diesen Sommer berichtet er vom Absturz ihrer beiden Flugzeuge, vom Versuch, das der Japanerin zu reparieren, von einer sachten Annäherung, einer stürmischen Liebe, die ihn bis ins hohe Alter nicht losgelassen hat. Er ist ein Hochstapler, der Großvater, doch in der Japanerin hat er trotz der Sprachbarriere eine Ebenbürtige gefunden, eine, die ihm den Schneid abkaufen konnte. 
Die Brüder, altklug und doch so weise, lauschen den Geschichten gespannt, bringen sich selbst das Lesen bei, um doch noch herauszufinden, was ihnen die Eltern schreiben und lernen nebenbei von ihrem Vorbild, dem Großvater, das Fliegen. 
Aber da ist noch jemand, die Fliegerin. Sie reist mit einem Vogelschwarm zu dessen Winterquartier, teilt hautnah das Erlebnis des Fliegens mit den Tieren.

Ein schmaler Band, dabei jedoch ein wahrer Diamant, ist dieser Roman. 
Es ist Teresa Präauers Debütroman, ein außerordentliches Stück Literatur. Noch eindrucksvoller wird es dadurch, dass sie schon in ihrem Debüt drei Handlungsstränge parallel zueinander verlaufen und sich schließlich treffen lässt. Brilliant konzipiert, aber sie hat uns noch mehr zu bieten, diese Ausnahme-Autorin (ich gebe zu, ich bin etwas voreingenommen, sie ist eine meiner Lieblingsautorinnen …) – ihre Sprache ist so poetisch, lautmalerisch, rhythmisch, es ist eine Erfahrung, diesen Roman zu lesen. Danach kann man kaum wieder zurück zum stupiden „Er sagt … Sie sagt …“. 
Die beiden Brüder, obgleich im Kindesalter, wirken auf den Leser oft sehr viel älter, auf Grund der Art ihres Sprechens und Fragens. Sind sie die Kinder oder ist es der Großvater, der im einen Moment harsche Fluganleitungen bellt wie ein strenger Lehrer, im nächsten jedoch mit sanfter Kinderstimme von der einzigen Frau erzählt, die ihm je entwischen konnte? Ob die Japanerin am Ende seine Erfindung war, oder er ihr tatsächlich begegnet ist, erfahren wir nicht, doch das ist auch nicht nötig. Es ist und bleibt eine phantastische Geschichte, welche der Großvater erzählt. 
Der Sommer der Brüder ohne Eltern, geprägt durch die Geschichten des Großvaters und seine Flugstunden mit ihnen, bildet den ersten Handlungsstrang, die Rahmenhandlung, wenn man so will, unterbrochen immer wieder von der Erzählung der stürmischen Liebschaft des Großvaters mit der Japanerin und dem Zug der Vögel mit der Fliegerin. 
Bei diesem Roman, der so offensichtlich von der Symbolik des Fliegens zusammengehalten wird, gibt es keine einfache Deutung. Es ist schlichtweg Kunst. Sprachkunst auf höchstem Niveau mit einem Charme, wie ihn nur die höchst talentierte Teresa Präauer zu versprühen weiß. Nicht umsonst wurde „Für den Herrscher aus Übersee“ mit dem ZDF -„aspekte“-Literaturpreis geehrt. Weiterhin erhielt Teresa Präauer auch das Stipendium „Esslinger Bahnwärter“ und den Literaturförderpreis der Stadt Meersburg.

Für den Herrscher aus Übersee 
von Teresa Präauer 
2012 Wallstein Verlag 
ISBN 978-3-8353-10092-6
 
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