Kunst und Wahn: Der Holzvulkan


Es beginnt als Brief ohne Anrede an den Freund Charles. Der Erzähler hat Fieber, liegt krank darnieder und ist von seiner Deutschlandreise noch nicht zurückgekehrt. Doch nicht nur ein mondäner Virus scheint ihn entflammt und seine Rückkehr verzögert zu haben, auch ein obsessives Interesse an einem unfassbar klingenden Herzog hält in noch gefangen.
In einen Sog der Geschichte wurde er von einem Bibliothekar hineingezogen, dem er zufällig in Niedersachsen, auf einem Rastplatz begegnete. Eine merkwürdig unwirkliche Begegnung. Noch unwirklicher erscheint jedoch, was der Bibliothekar zu berichten hat: Von einem Niedersächsischen Märchenkönig, eher einem Märchenherzog, der sein eigenes Versailles genau dort, etwas weiter den Hügel hinunter, errichten und sein winziges Herzogtum zu einem mit Kunst angefüllten bedeutungsvollem Wunderland machen wollte. Klingt unfassbar – davon hätte man doch gehört, oder etwa nicht? Solch ein Unterfangen, welches in der Erbauung eines Schlosses gipfelte, das mit Versailles konkurrieren sollte, Schloss Salzdahlum, kann doch nicht unentdeckt im Dunkel der Geschichte verschwunden sein. Ob er dem Bibliothekaren trauen kann oder dieser ihn nur zum Narren hält, da ist sich der Erzähler zu Beginn nicht sicher. Jedenfalls kann er sich dessen Erzählung von dem obsessiven Streben des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel nicht entziehen. 
Immer weiter lässt er sich durch die nicht mehr vorhandene Ruine vom großartigen Salzdahlum führen, auf den Spuren eines Größenwahnsinnigen und seines längst vergangenen Erbes.
 
Großartige, phantastische Literatur verbirgt sich in dieser wunderschönen Neuauflage von C.H. Beck in der Reihe textura. Doch nicht nur optisch weiß dieses Büchlein zu überzeugen: Als Leser wird man von der unglaublichen Geschichte des Herzogs Anton Ulrich genauso gefangengenommen wie der Erzähler, der sich am Ende als Autor erweist. 
Vieles verschwindet im Laufe der Zeit, so auch die höchst ambitionierten, doch am Ende vergeblichen Anstrengungen des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, dessen Talent weniger im Politischen als eher in der Förderung der Künste und dem Ausgeben von Geld für seine hochtrabenden Träume lag. 
Das Schloss Salzdahlum, sein größtes Werk, sollte das erst kurz zuvor errichtete Versailles in den Schatten stellen, ihn selbst als größeren Herrscher und Mäzen der Künste darstellen, als es der Sonnenkönig Louis XIV. war. Am Ende jedoch entlarvte er sich selbst dadurch als lächerlichen Hochstapler, der es auf Dauer nicht mit Louis XIV. aufnehmen konnte. Sein Herzogtum war in Größe und Einnahmen schlicht nicht mit Frankreich vergleichbar – es mangelte ihm an den nötigen Mitteln zur Umsetzung seiner Traumgespinste. Doch das hält einen Besessenen wie Anton Ulrich nicht auf – was tut er stattdessen? Er lässt sein großartiges Schloss aus Holz erbauen, um von seiner größenwahnsinnigen Vision nicht ablassen zu müssen. Seine Vision, seine Obsession ist Anton Ulrichs Untergang - denn die Realität beugt sich nicht den wilden Träumen eines Einzelnen, seien sie noch so verlockend.
Unfassbar, märchenhaft klingt die Geschichte, die uns Hans Pleschinski erzählt. Doch das macht sie umso reizvoller, insbesondere, wenn man als Leser entdeckt, dass sich das alles in der Tat so oder zumindest sehr ähnlich zugetragen hat. 
Unterhaltsam weiß uns der Autor ein absurd-komisches, vernachlässigtes Kuriosum der deutschen Geschichte nahezubringen. 
Wer könnte ihn je vergessen, den kunstverliebten, realitätsfernen Herzog mit seinem Versailles aus Holz.

Der Holzvulkan 
von Hans Pleschinski 
2014 Verlag C.H. Beck 
ISBN 978-3-406-66753-4
 
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