Das Verglühen eines Sterns: Und auch so bitterkalt
Malina ist die jüngere Schwester von Lucinda, Lucinda, die leuchtet
wie ein Stern. Die einzigartig ist, besonders, wunderschön aber dabei unnahbar.
Es gibt nichts Besseres für Malina als Zeit mit Lucinda zu verbringen, sich in
die Nacht mit ihr hinauszuschleichen und ihren Worten, ihrer Musik und ihren
Geschichten zu lauschen. Lucinda weiß, was sie will. Sie hält alle auf Abstand
mit ihrer Kälte; jeder Junge, der mit ihr in den Keller kam, kam kein zweites
Mal zurück.
Das ändert sich, als Jarvis in diesem Sommer im Haus nebenan
auftaucht. Er ist anders als die Jungs, mit denen sich Lucinda bisher getroffen
hat. Jarvis ist auch der einzige, der sich ein zweites Mal mit Lucinda in den
Keller wagt.
Malina beobachtet die beiden, wie außergewöhnlich sie sind, wie schön
und fern. Sie wäre gerne wie ihre Schwester, so schön wie ein Stern. Ein wenig
verliebt sie sich in Jarvis, den Jungen, mit dem ihre Schwester zu verschmelzen
scheint, blendend hell wie eine Supernova.
Während Malina versucht, ihrer älteren Schwester nahe zu sein, ist
Lucinda jedoch dabei, sich immer stärker von allem zu entfernen. Unnahbarer,
schwereloser zu werden, um schließlich zu verglühen. Bis am Ende nichts mehr
bleibt von Lucindas strahlendem Stern, nichts außer einem dunklen Fleck auf Malinas
Iris.
Lara Schützsack ist mit „Und auch so bitterkalt“ ein enorm poetischer
Kinder- und Jugendroman gelungen. Von der ersten Seite an fesselt einen die
kindlich-naive Perspektive Malinas - wie sie ist der Leser in der Rolle des
Voyeurs gefangen, unfähig, den Lauf der Handlung zu beeinflussen. Untätig dazu
verdammt, Zeuge des Verglühens und langsamen Wegdriftens der vergötterten,
idealisierten Schwester zu werden, welche vor Problemen und Unsicherheiten nur
so strotzt.
Lucinda erscheint zunächst stark und unverletzlich, doch auch Malina
dämmert in diesem Sommer, dass ihre große Schwester Wunden in sich trägt,
welche sie zu kompensieren sucht - durch die für Malina mysteriösen Treffen im
Keller mit all den Jungen, die danach nie wieder gesehen werden, durch ihre
Kälte und Unnahbarkeit und nicht zuletzt durch ihre stetig zunehmende
Weigerung, Nahrung zu sich zu nehmen. Lucindas Beziehung zu Jarvis scheint ihr
zunächst das zu geben, was sie bisher ermangelt hat, doch auch hier kommt es
zum Bruch. Obwohl er sich noch ein weiteres Mal zu Lucinda in den Keller wagt,
bleibt eine Leere in Malinas großer Schwester zurück. Lucindas Abwärtsspirale
wird noch verstärkt durch diesen letzten, großen Verlust von Jarvis, an dessen
Schicksal sie schwer zu tragen hat. Sie verliert letztlich ganz den Halt und
auch die nie abreißende Bewunderung ihrer kleinen Schwester kann Lucinda
schließlich nicht davor bewahren, zu verglühen. Malina beobachtet all das in
einem Sommer, in dem sie selbst zaghaft beginnt, aus der Position der
Beobachterin in die der Akteurin zu wechseln. Doch es gelingt ihr noch nicht
ganz diese Schwelle zu überschreiten, geschweige denn, Lucinda zu retten.
Einfühlsam erzählt Malina die Geschichte ihrer unabhängigen, oft
wilden und dabei doch so verlorenen Schwester. Lucindas einsamer Stern kann
schließlich nicht anders als zu vergehen. Zurück lässt sie eine fassungslose
Malina, welche noch nicht im Stande ist, das Schicksal ihres Sternes Lucinda
völlig zu erfassen. Umso authentischer ist deshalb Malinas Perspektive, umso
zarter und unschuldiger ihr Blick auf die Geschehnisse.
„Und auch so bitterkalt“ ist ein Roman über die Schwierigkeiten des
Erwachsenwerdens, über die Einsamkeit des Einzelnen, über Verlust und Krankheit
als Kompensation. Melancholie und Trauer waren selten in solch schöne,
poetische Worte gekleidet.
Und auch so bitterkalt
von Lara Schützsack
2014 Fischer KJB
ISBN 978-3-596-85619-0
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