Die Freude auf leisen Pfoten: Der Gast im Garten


Ein junger japanischer Lektor zieht mit seiner Frau, einer Übersetzerin, in ein kleines, umgebautes Gartenhaus außerhalb Tokios. Etwas anderes ist für sie Anfang der 1980er Jahre nicht erschwinglich; sie führen ein sehr ruhiges Leben, ein wirkliches Miteinander ist den beiden scheinbar schon länger abhandengekommen. Ihr Gartenhaus liegt in einem großen Garten eines sehr alten Haupthauses, überschattet von einem Keyakibaum. 
Es gibt viele Katzen in der Nachbarschaft und als der kleine Junge, der nebenan wohnt, eines Tages eine solche kleine Streunerin, welche sich schon eine Weile in ihrem Garten aufhielt, zu sich nimmt, ist das Paar nicht überrascht. 
Sie tragen sich mit eigenen Problemen: Der Lektor hat sich nach unbefriedigenden Jahren in seinem Job endlich entschlossen, nicht mehr nur mit anderer Autoren Texte zu arbeiten, sondern hauptberuflich seine eigenen zu veröffentlichen. Ein befreundeter Lyriker ist zudem schwer erkrankt. Die beiden haben nicht wirklich ein Faible für Katzen und umso bemerkenswerter ist es, wie die kleine Katze des Nachbarjungen, die sie auf Grund ihres Glöckchens am Halsband Chibi taufen, sich Stück für Stück einen Platz in ihrem Leben und ihrem Herzen erobert.
 
Takashi Hiraides Buch „Der Gast im Garten“ wirkt zunächst, auf Grund seines Umfangs und der Umschlaggestaltung durch Quint Buchholz, der auch die Illustrationen im Inneren gestaltet hat, wie ein Geschenkbuch. „Der Gast im Garten“ ist aber kein typisches Geschenkbuch und schon gar keine verkitschte Katzengeschichte. Vielmehr ist es die Geschichte einer zarten Begegnung. 
Das namenlose Paar, das im kleinen Gartenhäuschen lebt, wirkt still, zurückhaltend, aber nicht gerade glücklich. Aus Sicht des Mannes werden die Erlebnisse erzählt, er erwähnt jedoch niemals direkt, was ihnen zwischenmenschlich ermangelt - Freude, Glück, Miteinander. Er und seine Frau leben in stillem Einverständnis, ihre Beziehung zueinander wird nie direkt thematisiert. Die große literarische Kunst Hiraides liegt nun genau darin, eben diese Mängel und Brüche dem Leser dennoch fühlbar nahezubringen - das alles gelingt ihm nur durch der kleinen Katze Chibi. Denn sobald Chibi sich in das Leben des Paares schleicht, beginnt sich deren Miteinander langsam zu verändern. 
Chibi ist und bleibt dabei eine scheue Katze, sie nähert sich dem Paar und deren Gartenhaus ausgesprochen behutsam, sie lässt sich auch nie streicheln. Das kleine Kätzchen und dessen Abenteuer im großen Garten des Haupthauses werden zum gemeinsamen Interesse und Gesprächsthema des Paares, sie zu beobachten und einander von ihr zu berichten rückt die beiden wieder näher zusammen. Als Chibi sich schließlich einen Platz im Gartenhaus erobert - sie pflegt dort ihren Schönheitsschlaf zu halten und freut sich stets auf die gebratene Makrele, die die Übersetzerin für sie bereitgestellt hat - wird sie in den Augen des Paares zu ihrer Katze. Obwohl Chibi immer scheu bleibt, es durchaus auch Zeiten gibt, in denen die Dame des (Garten-)Hauses nicht gut auf sie zu sprechen ist, bleibt sie dennoch das verbindende, helle Freude stiftende Element im Leben des Paares. 
Der drohende Verkauf des Grundstückes des Haupthauses, wegen welchem das Paar gezwungen ist, sich eine neue Bleibe zu suchen, zeigt auf, welch bedeutsamen Platz Chibi in ihrem Leben eingenommen hat - sie zögern die Suche immer weiter hinaus und es soll auch keine Wohnung sein, die zu weit von Chibi entfernt liegt. Eines Tages taucht Chibi dann nicht zu ihrem täglichen Besuch im Gartenhaus auf und versetzt das Paar in Aufregung. 
Takashi Hiraides Buch strahlt eine unfassbare Ruhe, eine Nüchternheit aus, die schleichend durch die Präsenz der kleinen scheuen Katze Chibi mit ebenso stiller, gesetzter Freude aufgebrochen wird. „Der Gast im Garten“ ist eine erfreuliche Lektüre über die Begegnung eines sich langsam entfremdeten Paares mit einem kleinen Kätzchen, dessen Pfötchen große Veränderungen in deren Leben herbeiführt, indem es behutsam unaufgeregte Lebensfreude mit sich bringt und die beiden wieder zueinander finden lässt.

Der Gast im Garten (orig. Kyaku no neko) 
von Takashi Hiraide 
2015 Insel Verlag 
ISBN 978-3-458-17626-8
 
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