Erbarmungsloses Blutvergießen im viktorianischen London: The Quick
James Norbury und seine Schwester Charlotte verbrachten eine
unbeschwerte und kaum überwachte Kindheit auf dem Familienanwesen Aiskew Hall
im viktorianischen Yorkshire. Schon seit Jahren mehr oder weniger der
Verwilderung und dem Verfall überlassen, kann auch ihr vielbeschäftigter Vater
bis zu seinem überraschenden Tod wenig am Zustand von Aiskew Hall ändern.
Charlotte soll bei ihrer Tante bleiben, während James sich in Oxford seiner Schulausbildung
zuwendet. Er beschließt, Schriftsteller zu werden und dazu nach seinem Studium
in London zu leben. Auf Grund der familiären Geldprobleme muss er sich mit
Christopher Paige, charmant und gutaussehend, im Haus einer Verwandten
desselben Zimmer mieten. Nach und nach freunden sie sich jedoch an, mehr als
das. Durch Christophers Drängen überzeugt, schreibt James, anstatt seiner
Gedichte, sogar ein Theaterstück und gemeinsam ziehen sie los, um es dem
berühmten Oscar Wilde mit der Bitte um Unterstützung auf die Türschwelle zu
legen. Ihre nächtliche Unternehmung verläuft aber ganz anders als erhofft: Sie
werden brutal angegriffen - Christopher stirbt und James ist nie mehr derselbe
wie zuvor.
Er erwacht Tage später im ebenso mysteriösen wie illustren Aegolius Club,
wo ihm das gesamte Ausmaß seiner Veränderung bewusst wird. Zur gleichen Zeit
macht sich Charlotte nach dem Tod ihrer Tante besorgt auf die Suche nach ihrem
Bruder, welcher schon seit geraumer Zeit weder auf ihre Briefe noch ihre
Telegramme geantwortet hat …
"She did not understand what
he was doing. All she knew, in that cool distant of terror, was that he was too
strong for her, she could not pull away."
Lauren Owens „The Quick“ ist ein ausgezeichneter Gothic-Roman, dessen
Reminiszenzen an die Anfänge des Genres mannigfaltig sind und dessen bedrückend
aussichtslose Atmosphäre sich genussvoll langsam entfaltet. Keinesfalls handelt
es sich bei „The Quick“ um einen der verwässerten, eher lächerlichen
Vampirromane, die die Untoten romantisieren und verharmlosen. Lauren Owen
konfrontiert ihre Leser stattdessen auf altmodische Art mit dem
Übernatürlichen, führt sie, ebenso wie die Figuren ihres Romans, langsam an die
Thematik heran, lässt sie zweifeln und es als Aberglauben abtun. Die Bezeichnung „Vampir“ selbst fällt sogar erst gegen Ende der
Handlung, die in fünf Teile gegliedert ist. Neben James und Charlottes
Perspektive wird auch aus der Sicht zahlreicher anderer (Neben-)Charaktere, die
alle eine besondere Rolle im vielschichtigen Plot einnehmen, erzählt. Zunächst
folgen wir jedoch James Geschichte, welche sich zu Beginn als nicht so sehr
besonders ausnimmt, zumindest bis er Christopher Paige, dem Enfant Terrible
einer angesehenen und wohlhabenden Londoner Familie, begegnet. Dieser ist das
komplette Gegenteil des ruhigen, in sich selbst zurückgezogenen, oftmals
zerstreuten Möchtegern-Poeten James - extrovertiert, vergnügungssüchtig,
selbstsicher, charmant und risikofreudig. Zögerlich und einfühlsam erzählt Owen
von ihrer Beziehung. Letztlich ist es jedoch nicht die Ablehnung von Christophers
Familie, sondern der nächtliche Überfall, mit tödlichem Ausgang für
Christopher, der den Lauf von James Leben dramatisch und unwiderruflich
verändert.
Ein gegen die Regeln verstoßendes Mitglied des exklusiven Londoner
Aegolius Club beendet James bisheriges Leben und verwandelt ihn ohne dessen
Wissen oder Zustimmung. Ein Umstand, der jahrhundertelang für unmöglich
gehalten wurde und nach bisherigem Wissenstand mit dem Tod des Opfers enden
müsste. Nur durch die jahrzehntelangen Studien von Augustus Mould, der
menschlichen (aber dennoch umso bösartigeren und herzloseren) rechten Hand des
Clubvorstehers Edmund Bier, konnte die bisherige fälschliche Annahme, dass eine
ausdrückliche Zustimmung vor dem Austausch und der Verwandlung essentiell ist,
negiert werden. Die Untoten, selbstgenügsam, aristokratisch und gelangweilt,
legen in der Tat wenig Wert auf Bildung oder Erforschung ihrer eigenen
Möglichkeiten, deren Beschränkungen oder Herkunft. Erst mit der Machtübernahme
Biers wendet sich der Aegolius Club durch Mould diesen wissenschaftlichen
Fragen zu.
James ist nun der erste, bei dem das Undertaking angewandt wird -
obgleich er nicht derjenige ist, welcher vom Club dafür ausgewählt wurde. Außer sich vor Wut über den ruchlosen Mord an Christopher, die
Ungerührtheit der Clubmitglieder und seine Verwandlung in ein Monster, besessen
von Blut und dem Instinkt zu töten, flieht James mit einem anderen Gefangenen,
Mr Howland, aus dem Aegolius Club und schwört Rache. Der Club kann ein solch respektloses und undankbares Verhalten
keinesfalls dulden und verfolgt James und Howland erbarmungslos.
Ein ganz anderes, treffenderes Bild einer der klassischsten
Schauergestalten der europäischen Folklore zeichnet Lauren Owen mit „The
Quick“. Vampire als ruchlose Raubtiere, bar jeder menschlichen Regung, immer
auf der Suche nach ihrem eigenen Vorteil und der Essenz des Überlebens - anderen
ihr Leben zu rauben - darzustellen, ist keine sehr populäre Darstellung in
unserer Zeit. Eine vergleichbar nüchterne, furchterregende Darstellung des
Vampirismus findet sich sonst aktuell lediglich bei Guillermo del Toros
grauenerregender „The Strain“-Trilogie. Facettenreich entfalten sich Owens zahlreichen Handlungsstränge und
zeichnen so ein detailreiches, lebendiges Bild eines düsteren, übernatürlichem
Fin de Siècle. Lauren Owen gelingt es meisterhaft, den Leser in den Bann ihrer
Geschichte zu ziehen und ihn zugleich immer aufs Neue zu desillusionieren und
zu schockieren. Ein absolut lesenswerter Genuss für alle Freunde von
klassischer, blutiger Schauerliteratur.
The Quick
von Lauren Owen
2014 Vintage Books
ISBN 978-0-099-56997-8
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Leider ist dieser Titel bisher noch nicht auf Deutsch erschienen.
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