Wider der Einsamkeit: Astronauten
Ein Sommer, sechs komplett verschiedene Menschen. Ihre Wege kreuzen
sich in der flirrenden Hitze, sie hinterlassen Spuren in ihren Leben, nur um
kurz darauf wieder auseinanderzudriften.
Zeno und Darko sind seit ihrer Kindheit beste Freunde. Darko lebt seit
kurzem bei seinem Vater Alen, er ist in sich gekehrt und zieht sich diesen
Sommer auch immer mehr von dem stürmischen Zeno zurück. Zeno, der für alles
seine Theorien hat und nichts mehr fürchtet, als allein zu sein.
Dann ist da noch Mara, in die Darko sich verliebt hat und der Zeno
nicht traut - verrückt wie ihre Mutter, nennt er sie. Alen, gescheiterter
Schriftsteller, trockener Alkoholiker und Taxifahrer lernt nach seinen
Therapiestunden Mara kennen. Wild, ein wenig verrückt, immer leichter eine Lüge
auf den Lippen als die Wahrheit, das ist Mara mit den zwei verschiedenen Augen.
Niko ist Alens bester Freund, ein junger Polizist und Familienvater,
verloren im Trott seines Alltags wie alle anderen, deren Geheimnissen wie die
seinen hinter der allzu brüchigen Fassade der Normalität auf das Licht des
Tages lauern.
Als der charismatische Alex in das Leben aller tritt, wirbelt er das
fragile Lügengebilde, welches sie ihr Leben nennen, durcheinander.
"Dass die Dinge anders liegen und die Guten, die Normalen,
nur
eine Wunschvorstellung sind, dass in jeder Biografie ein Knick ist,
ein Bruch,
eine Leerstelle,
weil das Herausfallen aus der Ordnung das einzig Normale ist
(...)"
Sandra Gugićs phantastischer Debütroman „Astronauten“ findet ganz
eigene, literarische Stimme für die Einsamkeit und Vereinzelung der Menschen,
ihr mannigfaltiges Scheitern und ihre Versuche, sich einander dennoch zu
nähern.
Aus drei Teilen besteht dieser außergewöhnliche Roman, in jedem
Kapitel wechselt die Perspektive und eine andere Person kommt mit ihrer ganz
eigenen, unverwechselbaren Stimme zu Wort. Dabei gelingt es Sandra Gugić mit
sanfter, geübter Hand, all diese verschiedenen Perspektiven und Stimmen mehr
und mehr zu einer einzigen zusammenfließen zu lassen. Indem sie Sätze und
Gedanken eines ihrer Protagonisten von einem anderen übernehmen lässt, teilweise
fast unmerklich, verdeutlicht sie so deren gegenseitigen Einfluss auf ihre
Leben, macht die Spuren sichtbar, die jede Beziehung, jede Begegnung
hinterlässt.
Jeder einzelne dieser gewöhnlichen und dabei doch einzigartigen
Protagonisten ist einsam trotz der Gegenwart der anderen. Verloren sind sie in
ihrer kleinen Stadt, in ihren verfahrenen, zum Teil aussichtslosen,
stagnierenden Leben und im Konstrukt ihrer eigenen Geheimnisse und Lügen. Mit
zarter Verzweiflung klammern sie sich an ihre Routine und an den jeweils
anderen, um sich ein bisschen lebendig und weniger einsam zu fühlen.
Mara, die notorische Lügnerin, selbst schon nicht mehr im Stande, zu
unterscheiden, welche ihrer Geschichten und Erlebnisse ihrer Phantasie
entsprungen sind und was Realität ist, bändelt mit Alen an, obwohl sie genau
weiß, was der zurückhaltende Darko für sie empfindet. Doch mit Alen verbindet
sie mehr, sie sind sich ähnlicher. Sie bringt ihm bei, Kitsune, ihren Begleiter
seit der Kindheit, einen Origami-Fuchs, zu falten. Ihre unbeschwerte
Selbstsicherheit beeindruckt Alen und Darko gleichermaßen, ihre persönlichen
Abgründe, wie ihre schwerst depressive Mutter, und ihr Hang, sich in Gefahr zu
begeben, bleiben beiden verborgen.
Zeno, voller Wut und Hass auf die Welt, erkennt in diesem Sommer, dass
er doch auf sich allein gestellt ist, obwohl er bisher immer eine Einheit mit
Darko bildete. Sie beide gegen den Rest der Welt. Doch Mara hat sich zwischen
sie gedrängt, ihm Darko entzogen - Zeno beobachtet sie, einer Verrückten darf
man nicht trauen. Schließlich greift er zum Gewehr, um seiner Wut und Angst
Luft zu machen - eine Spur im Leben der anderen zu hinterlassen.
Die Frucht vor Einsamkeit treibt auch Niko dazu, Alex in sein Leben zu
lassen, einen instabilen, egomanischen Ex-Junkie mit einer Historie aus
Rückfällen.
Über allem schwebt Zenos Graffiti von Gott als Astronaut, unnahbar in Silber
und Weiß.
Ihre Leben streifen sich, die Schicksale kollidieren, doch sie kennen
sich deshalb noch lange nicht. Zu vorsichtig sind sie darum bemüht, ihre
kleinen Geheimnisse für sich zu bewahren, aus Furcht, das Gegenüber, die
fragile Zusammengehörigkeit zu verlieren. Sich sich selbst zu stellen, den
eigenen Lügen und dem Scheitern, das wollen sie alle vermeiden und setzen alles
daran, dass niemand hinter die sorgsam errichteten Fassade auf ihre Geheimnisse
blickt. Diese selbst errichtete Mauer ist es aber, welche sie von den anderen
isoliert und sie einsam werden lässt.
Poetisch stellt Sandra Gugić in ihrem Debütroman „Astronauten“ die
Verlorenheit und Einsamkeit der Menschen dar. Sie schreibt von Verzweiflung,
Scheitern, der zaghaften Annäherung ohne sich je wirklich auf den anderen
einzulassen oder ihn an sein wahres selbst heranzulassen. Dennoch hinterlassen
wir Spuren im Leben anderer, seien sie noch so gering.
Eine einzigartiger, intelligenter Roman getragen von einer lyrisch
anmutenden literarischen Stimme, von der wir hoffentlich noch mehr hören
werden.
Astronauten
von Sandra Gugić
2015 C.H.Beck
ISBN 978-3-406-67370-2
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