Zwischen eintöniger Realität und bunter Halluzination: Made You Up
Alex scheint eine ganz normale Jugendliche zu sein. Ihr feuerrotes
Haar fällt zwar immer sofort auf, aber dass sie seit dem Kindesalter unter
Paranoider Schizophrenie leidet, versucht sie so gut sie kann vor ihren
Mitmenschen geheim zu halten.
In ihrem letzten Jahr vor dem Abschluss wechselt sie die Highschool,
weil ihr Geheimnis in ihrer bisherigen Schule nach einer Paranoia-Attacke und dem
nachfolgenden Vandalismus aufgeflogen war. Die East Shoal High School ist
jedoch komplett anders als ihre alte High School; der Schulleiter scheint
besessen von der Anzeigetafel in der Sporthalle und es gibt zu ihrem Ärger keine
Fahrradständer. Nur nicht unangenehm auffallen, lautet Alex Devise - oder überhaupt
auffallen. Das gestaltet sich als einzige neue Schülerin mit ihrem leuchtend
roten Haarschopf jedoch etwas schwieriger als erhofft. Dass sie mit anderen
verhaltensauffälligen Schülern wegen der unglücklichen Sprayer-Aktion an ihrer
alten Highschool erst einmal im Athletics Support Club nachsitzen muss, macht
ihr dabei aber nicht so viel aus. Der Club wird jedoch vom berüchtigten Miles
Richter geleitet, dem Jungen mit dem besten Notenschnitt der Schule. Er hat
diese strahlend blauen Augen wie Alex sie nur einmal gesehen hat, damals, als
sie als Kind die Hummer im Feinkostladen befreit hat, bevor sie wusste, dass
sie psychisch krank ist. Aber Blue Eyes war auch eine ihrer Halluzinationen - oder etwa nicht?
"Sometimes I think people take
reality for granted.
I mean how can you tell the
difference between a dream and real life.
When you're in the dream you may
not know it, but as soon as you wake up,
you know that your dream was a
dream."
„Made You Up“ von Francesca Zappia ist ein außergewöhnlich kraftvolles
Romandebüt. Der Autorin gelingt es mühelos, Alex Schizophrenie und ihre
verzweifelten Versuche, sich an der Realität festzuklammern, empathisch und
zugleich lebhaft aus Alex eigenwilliger Perspektive zu schildern. Alex als Ich-Erzählerin birgt jedoch einige Komplikationen, da sie auf
Grund ihrer Paranoiden Schizophrenie ihren eigenen Sinnen und ihrer Wahrnehmung
der Welt um sie herum nicht vertrauen kann. So stellt Alex, das Mädchen mit dem
feuerrotem Haar, von dem sie als Kind glaubte, es sei vom selben strahlenden
Rot wie das der Hummer, die sie so unbedingt - aber doch so sinnlos, da diese
schon längst tot waren - aus ihrem Tank befreien wollte, das perfekte Beispiel
einer unzuverlässigen Erzählerin dar. Sie versucht allerdings keinesfalls den
Leser zu täuschen, ihre Krankheit täuscht sie selbst, wenn sie ihr (da ihr
Vater Archäologe ist und die Familie Geschichte liebt) bevorzugt Nazis und
Kommunisten vorgaukelt. Der Phoenix, den sie immer wieder über der Nachbarschaft
sichtet, gehört auch zu den Dingen, die ihr ihr Gehirn wohl vorspielt. Denn
obwohl sie in Behandlung ist, haben ihre Halluzinationen nie gänzlich
aufgehört. Nur die Farbigkeit der Welt um sie herum hat nachgelassen, von ihrer
auffälligen Haarfarbe abgesehen. Um den Halt in der Realität nicht zu verlieren, hat Alex daher damit
angefangen, alles Auffällige oder Verdächtige in ihrer Umgebung zu
photographieren, um es später nochmal eingehend prüfen zu können. Doch selbst
diese Methode scheint nicht mehr zu greifen, als Miles Richter,
hochintelligent, aber dennoch der größte Unheilstifter der Schule, mit exakt
denselben strahlend blauen Augen vor ihr steht, welche ihr erster, bester und
einziger Freund Blue Eyes hatte, mit dem sie die Hummer retten wollte. Wie sehr
hat sie ihre Krankheit noch unter Kontrolle? Entgleitet ihr die Realität
bereits? Miles bringt ihr sorgsam geordnetes und ach so fragiles Weltbild
komplett durcheinander. Immerhin hatte sie sich Blue Eyes doch auch ausgedacht,
zumindest war sie bisher davon ausgegangen.
Der Schulleiter bereitet ihr zusätzlich Kopfzerbrechen. Sein
merkwürdiges Gebaren rund um die Anzeigetafel trägt liebevoll-obsessive Züge
und seine Nähe zu Celia Hendricks, einer bitchigen Cheerleaderin, die seit
Jahren in Miles verliebt ist, verstärkt Alex Misstrauen. Mehr als einmal hört
und beobachtet sie, wie Celia von ihrer Mutter und dem Rektor unter Druck
gesetzt wird. Miles ist für beide eine Ablenkung, welche Celia daran hindert
ihr Potential zu entfalten. Gemeinsam mit ihrem neuen Freund Tucker, versucht
sie mehr über die Anzeigetafel und den Rektor herauszufinden. Tucker ist allerdings nicht ihr einziger Freund, denn mittlerweile hat
sie sich auch mit den anderen Mitgliedern des Clubs, alles Misfits wie sie,
angefreundet. Natürlich ohne irgendjemand von ihrer Krankheit zu erzählen, bei
Nachfragen weicht sie geschickt aus. Ihr Verhalten hat sie so weit unter
Kontrolle, dass ihren Mitmenschen ihre 360 Grad Checks und ihre Halluzinationen
nicht auffallen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und einer gewissen Feindlichkeit
kommen auch sie und Miles sich näher.
Die beunruhigenden Fragen aber bleiben: Ist Miles Blue Eyes? Wie sehr
hat sich Alex schon von der Realität entfernt? Was ist Halluzination und was
geschieht wirklich?
Ein wirklich absolut gelungenes Debüt, dessen bunte Mischung aus
Coming-of-Age-Geschichte, Mystery und Drama nicht liebevoller erzählt sein
könnte. Es ist eine bunte, laute, rasante und unsichere Welt, in die uns Alex
entführt. Geprägt von Angst, Paranoia, Halluzinationen und der steten Drohung,
eingewiesen zu werden und nie ihren Schulabschluss zu schaffen.
„Made You Up“ ist eines der wenigen Bücher über psychische
Krankheiten, welches sich nicht in Klischees oder Happy Ends verirrt und dabei
die wahre und wichtige Botschaft - Aufmerksamkeit für das Leiden und die
Anstrengungen derer, die unter solch einer psychischen Krankheit leiden, zu
schaffen - nicht vergisst und so seine Authentizität wahrt. Kraftvolle, rohe Prosa, suggestive Beschreibungen voll berstender
Lebendigkeit und strotzend vor Buntheit
gepaart mit einem mitreißenden Plot und einer ausgesprochen wichtigen, jedoch
viel zu wenig beachteten Thematik findet man in Francesca Zappias
atemberaubendem Debüt „Made You Up“. Definitiv und außer Konkurrenz eines meiner Lieblingsbücher dieses
Frühjahres.
Made You
Up
von Francesca Zappia
2015 Greenwillow Books
ISBN 978-0-06-229010-6
Interesse? Hier geht es direkt zum Buch auf der Verlagsseite:
„Made You Up“ ist leider noch nicht ins Deutsche übersetzt worden.
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