Auf der Spur der Dunkelheit: Nachts
Eine junge Frau klingelt nachts an fremden Türen. Sie sagt, sie
forscht über die Nacht und alle, die dann noch wach sind. Die Geschichten der
Nachtaktiven lässt sie sich erzählen, lässt sich hereinbitten in die fremden
Wohnungen und Häuser. Die Forscherin taucht ein in das Leben der Menschen, die
uns sonst Fremde bleiben, lässt sich aus ihrem Leben erzählen - und immer
wieder von der Beziehung zur Nacht. Manche sind nur gezwungenermaßen wach,
wegen der Arbeit, aus Angst oder aus Gewohnheit. Abgründe tun sich auf in der
Zeit des fehlenden Lichts, die junge Frau ist ausgezogen, sie zu erkunden.
Von Straße zu Straße geht sie auf der Suche nach einem erleuchteten
Fenster, nach einem Menschen, der sie mitten in der Nacht hereinbittet und mit
ihr spricht. Jemanden, der ihre Lügen nicht entdeckt und ihren Worten nicht
misstraut, sondern selbst kurz der Einsamkeit der Nacht entfliehen möchte.
Wonach sie eigentlich sucht, hinter den erleuchteten Fenstern und in den warmen
Zimmern abseits der Kälte der Nacht - sie kann es selbst nicht benennen.
„Dann lebe ich lieber ein
verzweifeltes Leben, das einer einzigen Explosion gleicht.
Brennen, brennen,
brennen, wie ein einziger, völlig mutierter Atomleuchtstab,
und dann macht es eines Tages
Zzzzzzzrrb! und dann bin ich tot.
Wie eine Fliege, die ins Licht
geflogen ist. Und dann, zurück in der Ewigkeit,
erzähle ich allen, dass sie die
Finger lassen sollen von dem faden Planeten Erde,
auf dem alles immer nur
vorbeigeht, aber nie bleibt.“
Mercedes Lauensteins Debütroman „Nachts“ erzählt von den magischen
Stunden der Nacht, ihrer Ambivalenz und den Menschen, denen die namenlose
Erzählerin auf ihrer Suche begegnet.
In kurzen Kapiteln erzählt die junge Frau, welche sich an den
Haustüren als Forscherin ausgibt, von ihren 25 nächtlichen Begegnungen. Mal
kürzer, mal länger geraten ihre Einblicke in die Leben der Nachtaktiven.
Verschiedenen Persönlichkeiten und Lebensstilen begegnet sie hautnah, lässt die
Menschen von sich erzählen, von ihren Sorgen und Nöten. Sie selbst tritt dabei
bewusst in den Schatten, verschmilzt mit der Dunkelheit und dem Mysterium der
Nacht, nach der sie zu forschen vorgibt und gibt wenig von sich preis. Nur auf
eines kommt sie fast immer wieder zurück: die Nacht und der Beziehung zu ihr.
Nicht alle Menschen, denen sie nachts begegnet, sind der Forscherin wohlgesinnt,
manche sind wie Egon unberechenbar oder verschlossen.
Eins haben jedoch all diese Menschen gemeinsam, bei denen zu so später
Stunde noch Licht brennt: Sie sind auf die eine oder andere Art einsam. Ob sie
nun den mittlerweile erwachsenen Sohn vermissen, die verstorbene Tochter, die
noch immer geliebte Exfreundin, die Mitbewohnerin, die vor kurzem ausgezogen
ist. Andere können ihre Einsamkeit oder die Gründe derselben gar nicht
benennen, aber verloren wirken sie, schwerelos treibend in den entrückten
Stunden der Nacht. Auch unsere Erzählerin ist im Grunde eine der ziellos
Treibenden, die ihre eigene Einsamkeit nicht wahrhaben will. Sie macht sich auf
die Suche nach Gleichgesinnten, nach Gesellschaft, nach Wärme - ihre wahren
Gründe für ihr nächtliches, zielloses Herumstreifen bleiben dem Leser dabei
lange unklar.
Manche fürchten die Nacht und die Einsamkeit, welche sie unweigerlich
mit sich bringt, für einige wenige ist sie aber eine Zeit der Erholung, Ruhe
und Klarheit in der sie ungestört ihrem eigenen Rhythmus folgen können.
Mercedes Lauenstein zeichnet in ihren sehr unterschiedlichen kleinen
Kapiteln, welche je einem Besuch gewidmet sind, eindringliche Portraits
verschiedener Menschen und dabei im Schattenwurf auch den unscharfen
Scherenschnitt ihrer in Schweigen hüllenden Erzählerin. Ein liebevolles
Potpourri der Einsamkeit, voller Neurosen, Ängste, Scheitern, aber auch des
Weitermachens und Vorangehens findet man in der kleinen Perle „Nachts“.
Nachts
von Mercedes Lauenstein
2015 Aufbau Verlag
ISBN 978-3-351-03614-0
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