Selbstzerstörerisch: Green Girl
Die junge Amerikanerin Ruth arbeitet in London als
Temp bei Horrids, einem der großen Luxuswarengeschäfte. Tag für Tag bietet sie
unwilligen Kunden und Touristen das neueste Parfum eines amerikanischen
Starlets an – denn wer möchte nicht einmal „Desire“ versuchen? Sie ist ein
Green Girl, verloren in einer fremden Stadt, in der sie immer nur auf der
Durchreise ist; verloren in der Arbeit als Parfumspritzerin; verloren in
bedeutungslosen One Night Stand Beziehungen. Wer ist unser Green Girl, diese
Ruth – dieses Mädchen, das sich halbherzig über Wasser zu halten versucht? Nach
was sucht sie, in den tristen Straßen Londons, mit Augen so grau und voll
unartikulierter Pein? Sie stolpert durch ihre Tage, durch die überfüllte Londoner
Ubahn, ab und an begleitet von Agnes, einer rothaarigen Femme Fatale, welche
mühelos alle Blicke auf sich zieht. Die Blicke, denen Ruth sich ausgesetzt
fühlt, belästigt und dennoch verlangend nach der Aufmerksamkeit, die diese ihr versprechen,
eine Aufmerksamkeit, die aber niemals lange anhält. Widersprüchlich ist Ruth,
verloren, verlangend, gleichgültig, sensibel. Ein Green Girl unter vielen, das
darauf wartet gesehen zu werden.
„The green
girl necessarily pines for the past, because the present is too uncomfortable
to be present in and the future, unimaginable. The need to long, to desire that
which she cannot have, that which has eluded her, because she deceives herself
that it was this person,
this chance, where she would have found happiness.
It would have been this boy, this ordinary boy with his ordinary cruelty,
this chance, where she would have found happiness.
It would have been this boy, this ordinary boy with his ordinary cruelty,
who would have unlocked the key to herself, a
self mysterious even to her.
The One
and there is only ever One so if you missed out, sad for you.“
Kate Zambrenos „Green Girl“ ist ein grandioser
Roman, der stark in der Tradition der großen Romane des Stream of Consciousness,
wie Clarice Lispectors „Die Sternstunde“, steht. Jedem Kapitel stellt die
Autorin ein literarisches oder cineastisches Zitat voran, welches den Inhalt
und besonders die Stimmung und Einstellung ihrer Protagonistin einfängt und diese
so in einen größeren kulturellen Kontext setzt. Denn ihre Protagonistin ist ein
Green Girl, eines von vielen: Ein verlorenes Mädchen, noch nicht ganz Frau und
sich im Unklaren über ihr Selbst. Doch Ruth ist nicht auf der Suche nach ihrer
Persönlichkeit, sie versucht gar nicht erst, zu wachsen an den
Herausforderungen, die ihr die graue Millionenstadt London mit ihrer
Schnelllebigkeit und Konsumgesellschaft vor die Füße wirft. Sie lässt sich
treiben, versucht, unsichtbar zu sein, sich anzupassen, nicht aufzufallen.
Zugleich wünscht sie sich nichts mehr, als endlich wirklich gesehen zu werden.
Bewundert, geliebt für das, was sie ist, in ihrer Unfertigkeit. Denn ihre
Vervollkommnung, die „Entdeckung“ ihrer Persönlichkeit, erwartet sie von außen,
passiv, berstend voll ungeäußertem Verlangen nach mehr. Immer mehr von allem
braucht sie, Aufmerksamkeit, Begehren, Materielles, das dann doch niemals genug
sein kann. Wertlos wird es für die Mädchen wie Ruth in dem Moment, in welchem
es erreicht ist. Mädchen, die sich selbstbewusst geben und sich
Persönlichkeiten überstreifen wie neue Kleidung. Nur um festzustellen, dass
auch daraus nicht die Befriedigung oder gar die Erkenntnis entsteht, nach der
sie so verzweifelt lechzen. Ausufernder Rausch, bedeutungsloser Sex, sinnloses
sich treiben lassen sind ihre Mittel, um das wohlige, viel zu kurz andauernde
Vergessen herbeizuführen, das sie von ihrer trostlosen Existenz und der
Erinnerung an eine brutale und missbräuchliche, retrospektiv aber gerade
deshalb idealisierte Beziehung erlöst. Denn sich selbst zu erniedrigen, sich in
Situationen zu bringen, von denen sie weiß, dass es kein positives Ende finden
wird, danach strebt das selbstzerstörerische Green Girl.
„Green Girl“ ist ebenso schonungs- wie hoffnungslos
in seiner intimen Schilderung einer naiven, zerrissenen, verlorenen jungen Frau, die sich
selbst nicht wertschätzt und an ihrem eigenen Unglück und ihrer systematischen Zerstörung
aktiv mitwirkt. Jedes positive, zukunftsträchtige Element versagt sie sich, sabotiert
und erniedrigt sich Mal um Mal bewusst selbst. Ruth gibt schnell auf und hofft
dennoch auf eine große Veränderung von außen, außerstande, Verantwortung für
ihr eigenes Leben zu übernehmen. Rohe, ungefilterte Emotion in äußerst
poetischer Sprache – ein absolutes literarisches Highlight!
Green Girl
von Kate Zambreno
2014 Harper Perennial
ISBN 978-0-06-232283-8
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