Augenblicke: Das Leben ist kurz. 12 Bagatellen


Zwölf Kurzgeschichten, Miniaturen, die kurze Augenblicke mit wenigen Worten umreißen. „Wozu braucht man eine Zeitung?“ erzählt von einem Paar, das in die Ferien in den Bergen verbringt und schmerzlich die vielen Anwendungsmöglichkeiten einer Zeitung misst. Eine Künstlerin mit Taubenphobie kann sich kein besseres Motiv für ihr nächstes Stillleben vorstellen, als ein kleines Taubenei („Das Taubenei“). In „Ein Kurzroman in Augenblicken“ folgen wir einem Mann, der völlig fasziniert ist von einer ihm unbekannten Frau. „Alexandre de Paris“ ist der Friseursalon des weltberühmten Alexandre, welcher seinem großen Vorbild Léonard, dem Friseur der Königin Marie Antoinette, nacheifert. Acht Weine und ihre Trinker, sowie deren Eigenarten entlarvt Mosebach in „Vinusse“.

„Wie ärgerlich war dies kunstfremde Hineinregieren in ihr Bildkonzept. Und wie dreist, den aufgedrängten und schließlich durchgesetzten Einfall alsbald wieder zu verhindern. War es nicht die Freundin mit ihren furchterregenden Tauben, die das Ei so wichtig hatte werden lassen? Ein kleines, matt glänzendes Ei. Die Malerin sah es vor sich. 
Es gab keine Möglichkeit mehr, auf das Ei zu verzichten.
 War es inzwischen nicht, als sei das ganze Bild in Wahrheit 
nur um dies Ei herumgeplant gewesen?“

Martin Mosebachs „Das Leben ist kurz. Zwölf Bagatellen“ bringt erstmals Stücke in einem Band zusammen, welche bisher bereits in diversen Tageszeitungen veröffentlicht wurden. Scheinbar belanglose Momente thematisiert der Autor, Nichtigkeiten des Alltags – Fingerübungen eines großen Autors, wenn man so will.
Die literarische Gewandtheit verlässt ihn auch nicht in der Beschreibung der unscheinbarsten Vorgänge, wie der Liebe eines Jungen zu seinem Fahrrad („Das Fahrrad“). Drei der Stücke sind in sich selbst kleine Kurzgeschichtensammlungen, die um ein einziges Thema kreisen: So findet man in „Ticktack“ sieben Geschichten zum Thema Pendel – von der kleinen Klavierschülerin, die das Pendel hasst, über eine Poe’sche Variante hin zu der Liebe eines Sammlers für seine kostbaren Uhren. Mit geübter Hand zeichnet Mosebach mit wenigen Worten fein durchdachte Situationen und lässt Personen plastisch aus dem schwarz-weiß der Buchseiten heraustreten. Der Ton seiner außerordentlich gebildeten Prosa variiert dabei von Geschichte zu Geschichte, mal ist es Satire, mal Komödie, mal ein kurzer Roman, mal schlicht deskriptive Reihung; selten aber lässt er es sich nehmen, kleine Schnipsel kultureller Bildung miteinfließen zu lassen, die den Leser dazu auffordern, über die eine oder andere kunsthistorische Technik, eine Nebenfigur griechischer Mythologie oder auch einen weniger bedeutsamen Heiligen nachzulesen.
Der Untertitel dieser Werksammlung ist nicht zufällig gewählt, denn auch die „Bagatelle“ an sich entbehrt wie Mosebachs Stücke in „Das Leben ist kurz“ nicht an Doppeldeutigkeit. Mehr als alles andere jedoch betont Mosebach in seinen zuweilen ausschweifend deskriptiven Erzählungen die Flüchtigkeit des Augenblicks, denn letztlich ist das Leben kurz, aufgebaut aus all diesen kleinen, nichtigen Augenblicken, deren Schönheit und Einzigartigkeit wir erst auf den zweiten Blick gewahr werden.
Vielleicht nicht mein liebster Kurzgeschichtenband, aber einige dieser Bagatellen („Ticktack“, „Das Taubenei“, „Ein Kurzroman in Augenblicken“ und „Vinusse“) sind höchst gelungen und lassen einen nicht mehr los, weil sie etwas Undefinierbares exakt in Worte fassen.

Das Leben ist kurz. Zwölf Bagatellen
von Martin Mosebach
2016 Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-498-04291-2
 
Interesse? Hier findet ihr das Buch auf der Verlagsseite (mit Leseprobe):

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