Zarte Bande: Wir beide wussten, es war was passiert


Der sechzehnjährige Billy läuft von zuhause weg. Seinen treuen Hund lässt er zurück, weil er sich im Klaren darüber ist, dass er sie nicht beide durchbringen kann. Nur weg will er – am besten so weit wie möglich von seinem Vater und dem trostlosen Vorort. Er ist sechzehn und obdachlos. Keine grandiose Bilanz. Aber immerhin ist er jetzt frei und in einem heruntergekommenen Bahnwaggon zu schlafen ist immer noch eine bessere Aussicht, als sein bisheriges Leben ihm bot.
Allein ist er aber nicht bei den leerstehenden Bahnwaggons: Sein ebenfalls obdachloser Nachbar Old Bill lebt dort vereinsamt und hegt zunächst nicht viel Sympathie für seinen jungen Namensvetter. Aber Billy lässt sich nicht abschrecken von dessen schroffer, abweisender Art.
Eine weitere unerwartete Begegnung erwartet Billy: Caitlin, die er in einem Fastfood Restaurant trifft und die ihn nicht mehr loslässt.

„’Ich werde ihn wieder besuchen,
wieder und wieder,
bis etwas passiert.’
Und die ganze nächste Stunde
dachte ich an das,
was passieren könnte
und was ich wünschen könnte,
dass es passierte.“

Steven Herricks „Wir beide wussten, es war was passiert“ ist kleine literarische Perle. Es gelingt dem Autor, in lyrischer Verknappung enorm viel Handlung und insbesondere Emotion zu transportieren. Unmittelbar nimmt der Leser teil am aussichtslosen Leben von Billy, einem Jugendlichen, der in seinem kurzen Leben bereits gescheitert ist. Obdach- und mittellos mag er sein, aber seine ruhige Einstellung zum Leben hat er dadurch nicht verloren, vielleicht sogar erst gefunden.
Caitlin kommt aus einer ganz anderen sozialen Sphäre: Sie müsste mitnichten bei einem schmierigen Fastfood Restaurant jobben, aber sie entscheidet sich dennoch bewusst dafür. Genauso bewusst handelt sie auch in Bezug auf Billy, der ihr in seiner Andersartigkeit, seiner Ruhe und seinen sehr erwachsenen Ansichten immer mehr ans Herz wächst. Denn es ist etwas passiert zwischen diesen beiden Jugendlichen – etwas Wunderbares, Magisches. Etwas, das trotz seiner Fehler und Schwierigkeiten wahren Wert hat. 
Kurze Kapitel mit wechselnden Erzählern beleuchten das Innenleben der drei Hauptfiguren, deren distinktive Stimmen trotz der Unterschiede im Ton miteinander verknüpft sind. In seiner reduzierten und daher auch äußerst kurzweiligen, wie Lyrik gesetzten Sprache verzaubert Herrick nicht nur jugendliche Leser oder den üblichen Liebesroman-Leser. Sein Buch ist ein Zwitter zwischen Jugendbuch, All Age, Liebesgeschichte und aufrichtigem Liebesgedicht. Es geht um das Verlieben, aber ebenfalls um den Wert eines Menschenlebens, um Vorurteile und die Würde des Individuums.
„Wir beide wussten, es war was passiert“ ist nicht nur ein Jugenbuch. Es ist ein großartiger, mitreißender Liebesroman, ein Gedicht vom Zauber und der poetischen Einfachheit der Liebe, bei der es nicht wichtig ist, was man hat, sondern nur, wer man wirklich ist. Absolute Leseempfehlung, die mit ihrer reduzierten Schönheit lange nachhallt.

Wir beide wussten, es war was passiert (orig. The Simple Gift)
von Steven Herrick
2016 Thienemann Verlag
ISBN 978-3-522-20219-0

Hier findet ihr das Buch auf der Verlagsseite:

Oder doch lieber im englischen Original lesen?

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