Am Wendepunkt: Nach allem, was ich beinahe für dich getan hätte
Der Polizist Marotti hat trotz einer starken Verbrennung
darum gebeten, am Basler Hauptbahnhof wenigstens die
Überwachungskameraaufzeichnungen im Auge zu behalten. Immerhin hatte die Kantonspolizei
einen vagen Drohbrief erhalten. Nun soll er alle Personen, die sich in
irgendeiner Weise auffällig verhalten, sofort seinen Vorgesetzten melden. Nach endlosem,
unproduktivem Starren auf graues Monitorgeflimmer, fallen Marotti zwei seltsame
Personen auf einer Bank auf: eine elegant gekleidete Frau und ein Mann im
römischen Legionärskostüm. Die Frau, Lucy, starrt schon geraume Zeit auf das
verblassende Alpenpanorama an der gegenüberliegenden Wand, als sich der
verkaterte Simon neben ihr niederlässt. Marottis Neugier ist geweckt – sind die
beiden Teil der Aktivistengruppe? Weshalb verharren sie inmitten der Bahnhofshektik
stundenlang still auf einer Bank?
„Von
diesem Moment an konnte es überall passieren. Nirgends war sie sicher. (...)
Manchmal waren es Farben oder das Licht in der Dämmerung, oft konnte es
Manchmal waren es Farben oder das Licht in der Dämmerung, oft konnte es
auch
ein Duft sein, ein Klang oder ein Wort, das ihren Gleichmut unerwartet störte.
Noch immer
konnte sie sich nicht dagegen wehren, dass die Schönheit sie angriff,
sie aushöhlte und niederschmetterte, wie es
dem Elend nie gelang.“
Marie Malcovatis Debütroman „Nach allem, was ich beinahe
für dich getan hätte“ zeichnet eine vielschichtige Momentaufnahme dreier Leben,
welche sich durch Zufall in einer für alle drei Protagonisten
verzweiflungsreichen Zeit überschneiden.
Aus drei Perspektiven lässt die Autorin ihre Figuren,
Marotti, Lucy und Simon, Stück für Stück ihre Lebensgeschichten erzählen.
Die unnahbare Lucy hadert mit ihrem Schicksal,
nachdem sie erst am Morgen eine lebensverändernde Mitteilung erhalten hatte, welche
die Grundfesten ihres sorgsam geplanten Lebens erschüttert. Denn mit diesem
Wissen ist nichts mehr so, wie zuvor. All das, nach dem sie jahrelang ihr Leben
ausgerichtet hatte, scheint plötzlich seiner Gültigkeit enthoben. Simon
hingegen scheitert schon seit Jahren bewusst auf allen Ebenen, immer auf der
Flucht vor den Erwartungen seiner Millionärseltern. Er ist zwar der
drittgeborene Sohn ihres Zahnpastaimperiums und ihm hat es nie an etwas
gemangelt, schon gar nicht an Chancen, dennoch tut er sich schwer, einen Sinn,
eine Aufgabe in seinem Leben zu finden. Stattdessen lässt er sich treiben, eckt
in seiner Eigenwilligkeit überall an und strandet schließlich volltrunken und
verlassen auf der Bank am Bahnhof neben Lucy. Auch der Polizist Marotti hat
eine Zäsur hinter sich, er arbeitet lieber als sich seiner gescheiterten Ehe
und der Einsamkeit in seiner leeren Wohnung zu stellen. Mit zunehmender
Obsession beobachtet er die aus der Zeit Gefallenen, zwischen denen sich eine ebenso
unbeholfene wie aufrichtige Konversation entwickelt.
Malcovatis Stil ist voller Leichtigkeit, mühelos lässt
sie stimmungsvolle Rückblenden mit der trostlosen Gegenwart des Bahnhofs
verschmelzen. Ihre stellenweise humorvolle Prosa erzeugt dabei eine lakonische
Atmosphäre, reich an Verzweiflung, Sinnentleerung und Ungewissheit. Elegant
schließt sie den Kreis der Handlung ihres Romans, so dass am Ende ein kleines
Kunstwerk seine Vollendung findet.
Ihre Protagonisten stehen alle an Scheidewegen ihres Lebens, verharren gemeinsam in einer zeitlosen Blase am Bahnhof. Aus dieser zufälligen Begegnung kann sich jedoch in seiner Nichtigkeit Lebensveränderndes entwickeln – so trivial und unbedeutend es auf den ersten Blick auch erscheinen mag.
Ihre Protagonisten stehen alle an Scheidewegen ihres Lebens, verharren gemeinsam in einer zeitlosen Blase am Bahnhof. Aus dieser zufälligen Begegnung kann sich jedoch in seiner Nichtigkeit Lebensveränderndes entwickeln – so trivial und unbedeutend es auf den ersten Blick auch erscheinen mag.
„Nach allem, was ich beinahe für dich getan hätte“
bietet stimmungsvolle Prosa, die den Leser novellenartig am Mikrokosmos dreier
Leben teilhaben lässt – lesenswert!
Nach allem, was ich
beinahe für dich getan hätte
von Marie Malcovati
2016 Edition Nautilus
ISBN 978-3-89401-827-6
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